Die Verantwortungsstruktur bei der Privatisierung der Rehabilitationsleistungen im estnischen Sozialrecht
DOI:
https://doi.org/10.12697/JI.2017.26.10Keywords:
Sozialrecht, Sozialdienstleistungen vom allgemeinen Interesse, soziale Rehabilitation, Privatisierung, Vermarktlichung, Verwaltungskooperation, öffentliche Aufgabe, Gewährleistungsverantwortung, Erfüllungsverantwortung, Bedarfsermittlung.Abstract
Mit der jüngst erfolgten Umstrukturierung der Dreiecksbeziehungen der sozialen Rehabilitation wurden zahlreiche Rechtsfragen aufgeworfen. Vor allem war das Verhältnis des neuen Modells zum vertrauten System der Verwaltungskooperation und ihre Einordnung als öffentliche Aufgabe weitgehend unklar, was durch widersprüchliche Gesetzesbegründung noch verschärft worden ist.
Das gewählte Marktmodell, das in seiner Ausgestaltung grundsätzlich dem Universaldienstmodell ähnelt, unterscheidet sich von der Ausgestaltung anderer Sozialleistungen dadurch, dass der Gesetzgeber hier auf seiner Erfüllungsverantwortung ganz verzichtet hat und die Erbringung der Leistungen an zugelassene gewerbliche Anbieter völlig überlässt, ohne die Leistungserbringung als Erfüllung öffentlicher Aufgabe zu werten. Da das Verwaltungskooperationsgesetz von einer originären staatlichen Erfüllungspflicht ausgehend konzipiert ist, bei der sozialen Rehabilitation an dieser aber fehlt, wird die Anwendbarkeit des VwKG ausscheiden. Das hat zur Folge, dass auch nicht die durchaus nötigen Anforderungen an der Kontinuität, Qualität, Wirtschaftlichkeit und Beachtung der Rechte der Betroffenen sowie des öffentlichen Interesses greifen, obwohl es auch materiell gesehen im vorliegenden Fall um gemeinwohl- und grundrechtsrelevante Aufgaben geht. Es wäre daher sinnvoll, die erhöhte Begründungspflicht auf solche Fallgestaltungen, wie die Vorliegende, auszudehnen.
Es steht fest, dass der Staat sich bei der Losbindung von der Erfüllungsverantwortung nicht ganz zurückziehen darf, sondern nur seine Rolle wechselt, indem er (in diesem Fall eine vergleichbar umfangreiche) Gewährleistungsverantwortung wahrnimmt. Vor allem darf nicht alleine darauf vertraut werden, dass die Marktkräfte eine flächendeckende Versorgung mit den Leistungen sicherstellen können. Der estnische Gesetzgeber hat der staatlichen Gewährleistungsverantwortung, die die Verantwortung für die Regulierung, Aufsicht, Finanzierung, Schaffung des Wettbewerbs und erforderlichenfalls Auffangsverantwortung umfasst, nur partiell Rechnung getragen und wird aufgerufen, die Lücken zu schließen.
Die Frage eines angemessenen Interessenausgleichs im asymmetrischen Leistungserbringungsverhältnis nach dem Marktmodell konnte in diesem Beitrag nur am Rande behandelt werden. Ein Folgebeitrag, gewidmet auf die individuelle Rechtsstellung des Leistungsberechtigten, der gleichzeitig als Verbraucher zwischen öffentlichem und Privatrecht steht, wäre durchaus zu begrüßen.