Der Himmel als Stimmungsbogen des Denkens über Tartu im Februar 1808

Authors

  • Eduard Parhomenko

DOI:

https://doi.org/10.12697/spe.2015.8.2.04

Keywords:

Kant, Kantianismus, Jäsche, Spinozismus, Pantheismus, Jacobi, Deutscher Idealismus, Estnische Philosophie, Normativität der Natur bzw des Himmels, Kantianism, Spinozism, Pantheism, German idealism, Estonian philosophy, normativity of nature resp sky

Abstract

Der Aufsatz beschäftigt sich mit der Transformation der philosophischen Ansichten von Gottlob Benjamin Jäsche (1762--1842), welcher an der Universität Tartu als Professor für theoretische und praktische Philosophie (1802--1838) wirkte. In der Geschichte der Philosophie wurde er vor allem als der Herausgeber von Immanuel Kants Logik-Vorlesungen (1800) bekannt. Jäsches Auseinandersetzungen mit Spinozismus und Pantheismus sind aber ebenso beachtenswert (Der Pantheismus nach seinen verschiedenen Hauptformen I--III, 1826--1832). Im allgemeinen wird Jäsche als ein strenger, eben orthodoxer Anhänger Kants charakterisiert. Dabei wird allerdings der Einfluss der Philosophie Friedrich Heinrich Jacobis auf seinen Kantianismus angesprochen. Der Aufsatz untersucht hauptsächlich den Einfluss der Glaubensphilosophie Jacobis, darunter seiner Kritik des Spinozismus und Pantheismus, auf die Verwandlung der Philosophie Jäsches zum Ende des ersten Jahrzehnts des 19. Jahrhunderts. Die Analyse konzentriert sich auf das Manuskript Liebe und Glaube. Es handelt sich hierbei um ein eigenartiges Denktagebuch, veranlasst durch den frühzeitigen Tod von Jäsches Frau Sally im Februar 1808. Jäsche versucht dort den Tod seiner Frau und die dadurch hervorgerufene seelische und philosophische Krise zu überwinden. Entscheidend ist hierbei, dass Jäsche, beim Versuch den Tod seiner Frau anhand der Philosophie Kants zu durchdenken, scheiterte, da die Philosophie Kants die übernatürliche Erfahrung, der Jäsche unmittelbar nach dem Tod seiner Frau teilhaftig wurde, nicht erklären konnte. Den Ausweg findet Jäsche durch die Glaubensphilosophie Jacobis. Im allgemeinen lässt sich sagen, dass Jäsches philosophische Ansichten im Rahmen der Philosophie Kants blieben, obwohl es im konkreten Falle nicht allein um eine Verschiebung von Akzenten geht, sondern um eine beträchtliche Umdeutung der zentralen Konzepte der Philosophie Kants.

 

This paper focuses on the transformation of the philosophical views of Gottlob Benjamin Jäsche (1762--1842), professor of theoretical and practical philosophy at Tartu University (1802--1838). In the history of philosophy, Jäsche is known as a compiler and publisher of Immanuel Kant's handbook of lectures on logic (1800). His critique of Spinozism and pantheism is also noteworthy (Der Pantheismus nach seinen verschiedenen Hauptformen I-III, 1826--1832). Jäsche was characterised as a rather strict, even orthodox disciple of Kant's philosophy. However, it was noticed that his Kantianism was influenced by the philosophy of Friedrich Heinrich Jacobi. This paper mainly examines the meaning of Jacobi's philosophical doctrine of belief or faith (Glaube), including the meaning of the criticism of Spinozism and pantheism during the turn in Jäsche's philosophy at the end of the first decade of the 19th century. The analysis focuses on one of Jäsche's manuscript works, entitled Liebe und Glaube (Love and Faith). This is a peculiar spiritual diary, the writing of which was induced by the death of Jäsche's wife, Sally in February 1808. In his diary Jäsche tries to explicate the tragedy and through it to overcome the spiritual as well as philosophical crisis that assailed him as a consequence of his wife's untimely death. The fact that Kant's philosophy did not help Jäsche cope with his wife's death became decisive, because through Kantianism he was unable to find a philosophical explication of the supernatural experience that he had lived through. Jäsche emerges from the bind thanks to Jacobi's philosophy of belief. Although, broadly speaking, Jäsche remained within in the framework of Kant's philosophy, this was not merely a matter of making small adjustments and shifting emphases, but rather entailed a thorough reconsideration of central notions of Kant's philosophy.

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Published

2016-03-11

How to Cite

Parhomenko, E. (2016). Der Himmel als Stimmungsbogen des Denkens über Tartu im Februar 1808. Studia Philosophica Estonica, 8(2), 91–103. https://doi.org/10.12697/spe.2015.8.2.04